Sollte in Deutschland zukünftig das Prinzip der inklusiven Schule umgesetzt werden?

Inklusion als Prinzip ist noch nicht weit verbreitet. Aber warum eigentlich nicht? Pädagogische Inklusion bedeutet jeden einzelnen Menschen mit einzubeziehen, kein Schulkind geht auf eine gesonderte Schule aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung. Dabei steht besonders die Wertschätzung der Vielfältigkeit im Fokus. Ist dies überhaupt umsetzbar?

 

Es sollte wohl als oberster Grundsatz gelten, dass jeder Mensch gleich viel wert ist und dass auch eine physische oder psychische Behinderung daran nichts ändert. Ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) oder eine andere spezielle Bildungseinrichtung für behinderte Menschen widerspricht diesem Grundsatz grundlegend, da diese Einrichtungen eine Trennung vorsieht, auch wenn nicht unbedingt Unterschiede in den kognitiven Möglichkeiten vorhanden sind. Dies ist ist nicht nur bezogen auf Bildung, sondern gibt ein generelles Lebensgefühl nicht nur Normalbevölkerung zu gehören. Eine Schule extra für behinderte Menschen konfrontiert junge Menschen jeden Tag mit dem Gefühl nicht zu genügen, eine besondere Behandlung bekommen zu müssen. Ganz abgesehen von der emotionalen Belastung, dass andere Menschen sich besonders um einen bemühen zu müssen oder Gelder aufgebracht werden müssen um besondere Förderprogramme zu finanzieren. Für das Leben nach der Schule stufe ich tatsächliche Lerninhalte genauso wichtig ein, wie emotionale Erfahrungen und persönliche Weiterentwicklungen während der Schulzeit.

Einem Menschen im Alter von 6 bis 18 Jahre konstant das Gefühl zu geben, als Person nicht in der Lage zu sein, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, kann sich nur negativ auf die individuelle Identitätsentwicklung einwirken. Dies wird somit nicht nur in Kindheit und Jugend ein Thema sein, sondern sich gleichermaßen auch auf das Leben als Erwachsener ausweiten.

In Deutschland machen allein schwerbehinderte Menschen einen Prozentsatz von 9,4 Prozent aus. Menschen mit Behinderung sind ein Teil dieser Gesellschaft und sollten auch als solcher behandelt werden. Eine starke Gesellschaft stützt sich auf jeden einzelnen Bürger. Ein Bürger, der seit Anbeginn seines Lebens eigentlich nicht wirklich in die Gesellschaft integriert ist, sich besonders emotional ausgegrenzt fühlt, kann und wird kein starker Teil der Gesellschaft werden können, bzw. wollen. Es handelt sich hier also nicht nur um eine pädagogische Frage, sondern sollte auch in einem größeren Rahmen untersucht werden. Es ist die Verantwortung jedes einzelnen, sich klarzumachen, dass jeder Mensch genau gleich viel wichtig ist. Menschen mit Behinderung sollten insofern, wenn irgend möglich, die gleichen Chancen bekommen wie ein Mensch ohne Behinderung - und das inkludiert den Bildungsbereich mit ein.

Studien haben gezeigt, dass sowohl Eltern von Kindern mit Behinderung als auch die Kinder selbst in einer inklusiven Schule zufriedener sind als in einer Förderschule. Das zeigt, dass diese Schüler und Schülerinnen im Kontext der Leistung und des Wohlfühlens keine oder kaum Nachteile erfahren und auch Eltern generell nicht den Eindruck haben, ihre Kinder würden auf einer inklusiven Schule weniger Möglichkeiten haben. Eher das Gegenteil ist der Fall. Eltern und Schüler haben hauptsächlich positive Eindrücke von diesem modernen Schultypen und sehen darin neue Perspektiven auf dem Weg zu Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Im Allgemeinen sind die Perspektiven besser und der Bildungsstandard höher, wenn diese Kinder in einem inklusiven Lernumfeld lernen. Des weiteren zeigen Umfragen, dass behinderte Kinder in Deutschland in einem solchen Umfeld einen höheren Schulabschluss anstreben. Personen, die eigene Erfahrungen in inklusiven Schulen und Einrichtungen gemacht haben, sind diesen Konzept gegenüber sehr positiv eingestellt. Viele Kritiker und Gegner von diesen Einrichtungen hatten laut Umfragen oft noch keinen persönlichen Zugang zu einer solchen, was darauf schließen lässt, dass die negativen Aspekte einer inklusiven Schule oft nur in der Theorie ein Problem darstellen, in der Praxis dagegen häufig nicht auftauchen.

Es ist eine moralische Pflicht jeden einzelnen Menschen als volles Individuum zu sehen und keine Unterscheidungen zu treffen, auf welche Schule der eine und auf welche der andere gehen kann. Es geht darum wahrzunehmen und wertzuschätzen, welcher Vielfalt die Gesellschaft unterliegt und in keinem Fall nur die Norm zuzulassen.

Kritiker sind der Meinung, auf Förderschulen für behinderte Menschen gäbe es gerechtere Bildung und weniger soziale Probleme. Denkt aber mal kurz darüber nach, wie der Unterricht in Förderschulen abläuft. Dort werden beispielsweise alle verhaltensauffällige Schüler oder Schülerinnen zusammen in eine Klasse gesteckt. Was denkt ihr würde wohl passieren, wenn zwanzig Verhaltensauffällige in einer Klasse sind? Da die Kinder sich in ihrem Umfeld nicht an verhaltensnormalen Gleichaltrigen orientieren können, intensiviert sich ihre Verhaltensauffälligkeit nur. Ein gemischtes Umfeld wäre hingegen ideal, um genau das zu verhindern und eine sich gegenseitig verstärkende Gemeinschaft zu bilden. Ein inkludierendes Schulsystem führt zu erhöhter Toleranz und einem besseren Miteinander. Darüber hinaus wirkt sich Inklusion positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern aus und erhöht unter anderem die Bereitschaft, sich sozial zu engagieren sowie den eigenen Horizont zu erweitern.

Inklusion ist ein neuer Versuch der Integration behinderter Kinder. Das erfordert einen rücksichtsvolleren Umgang miteinander, der vielen noch fremd ist, da sie bisher keine Erfahrungen mit behinderten Menschen haben. Ein von Geburt an gemeinsames Aufwachsen beugt genau das jedoch vor, wodurch die soziale Kompetenz steigt.

 

Allerdings gibt es auch Kritikpunkte an inklusiven Schulen, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Wenn Kinder mit Behinderung in einer inklusiven Schule stärker individuell gefördert werden, da sie eventuell bei manchen Fächern oder Aufgaben mehr Unterstützung benötigen als andere Schüler, kann sich das negativ auf die Klassengemeinschaft auswirken. Intensive Einzelförderung führt nicht zur Homogenisierung einer Lerngruppe und ungleiche Behandlung könnte noch zu zusätzlicher Ausgrenzung führen. Die Idee der Inklusion würde sich so wiederum zu einer Form der Exklusion wandeln, was einer kompletten Verfehlung des eigentlichen Ziels entsprechen würde. Hauptziel einer inklusiven Lerneinrichtung muss es also sein, den Schülern mit unterschiedlichen Voraussetzungen gleiche Möglichkeiten zu bieten, ohne dabei die Lerngruppe zu spalten. Des Weiteren wird kritisiert, dass leistungsstarke Schüler in einem solchen Umfeld nicht genug gefördert werden und dass unterschiedliche Leistungsniveaus den Lernerfolg bremsen. Um das zu verhindern, könnte eine inklusive Schule mehr Möglichkeiten für leistungsstärkere Schüler bereitstellen, um diesen Schülern zu ermöglichen, individuell und in einem eigenen Tempo neue Inhalte zu erarbeiten. Gleichzeitig sollte es zusätzliche Angebote für leistungsschwächere Schüler geben, sodass die Klasse eine homogene Lerngruppe bilden kann.

Natürlich kann es sein, dass jemand mit Behinderung in einer inklusiven Schule gehänselt wird und bestimmt gibt es Situationen, in denen ein behindertes Kind an einer Aktivität nicht teilnehmen kann. Aber dieses Problem herrscht genauso in Klassen, in denen niemand mit Behinderung ist. Dann wird vielleicht der mit der großen Nase, die Dicke, oder der Streber gehänselt. Je weniger Berührungspunkte wir zu anderen haben, je weniger wir also mit anderen in Kontakt stehen, desto größer sind die Ängste sich gegenüber und deshalb gibt es auch so große Vorbehalte.

Überlegt euch mal: jeder Zehnte in Deutschland hat eine Behinderung und dennoch ist nicht jeder Zehnte in eurer Schule oder eurem Freundeskreis behindert. Und das liegt daran, dass wir Behinderte systematisch in unser Bildungssystem aussortieren, wie zum Beispiel in SBBZ. Deutschland hat 2009 die sogenannte UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben, das heißt wir müssen in Deutschland die Inklusion in allen Lebensbereichen ermöglichen. Das Problem ist jedoch, dass wir immer noch so tun, als wäre Inklusion etwas Unerreichbares, eine Utopie. Dabei geht es doch gar nicht mehr um die Frage, ob Inklusion möglich ist, denn das ist es definitiv, wie man an Ländern wie Finnland und Kanada sehen kann, die bei der Pisa-Studie sogar die ersten beiden Plätze belegt haben. Es geht vielmehr um die Frage, wie man Inklusion erreichen kann. Die Schulen müssen an die Schüler angepasst werden. Inklusion erfordert den Bau barrierefreier Gebäude, sowie die besondere Ausbildung von Lehrkräften, das ist gar nicht zu bestreiten, aber auch nicht schwer umsetzbar. Inklusion ist kein Ziel, sondern ein Prozess. Der Prozess der Annahme und der Bewältigung von Vielfalt. Das schließt alle mit ein.

 

Wie kann man Freizeit und Kultur inklusiv gestalten? Als erstes müssen Freizeitangebote von öffentlichen Einrichtungen, Vereinen, Bündnissen etc. barrierefrei gestaltet werden. Die Gebäude müssen für alle zugänglich gemacht werden, es muss leicht verständliche Ausschreibungen, wie beispielsweise Angaben zu Anmeldemöglichkeiten geben, Assistenzmöglichkeiten sollten vorhanden und das Preisniveau für jeden möglich sein.

Bei Festen muss an Behindertentoiletten, verständliche Veranstaltungspläne und an leicht zugängliche Festorte gedacht werden. Das ist alles nur eine Frage der Umsetzung, die leicht zu bewerkstelligen ist.

Auch im sportlichen Bereich können Behinderte inkludiert werden. Sportliche Betätigung in einem verträglichen Umfang steigert das körperliche sowie das psychische Wohlbefinden. Des Weiteren werden sowohl die motorischen als auch die kognitiven Fähigkeiten gefördert, das gesteigerte Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärkt wiederum das Selbstvertrauen, führt zu mehr Eigenständigkeit im Alltag und steigert insbesondere die Lebensqualität der Menschen mit Beeinträchtigungen. Abbau von Vorurteilen und weniger Berührungsängste durch soziale Interaktionen auf der einen Seite, mehr Akzeptanz und gegenseitiger Respekt auf der anderen Seite. Auch in diesem Bereich ist die einzige Hürde die Umsetzung, die aber nicht schwer erreichbar ist, wenn der Wille erst mal da ist.

Von der 5. bis zur 7. Klasse hatte ich einen Jungen in meiner Klasse, nennen wir ihn Oskar. Oskar hatte eine geistige Behinderung im Autismus-Spektrum. Er ging ganz normal auf das Gymnasium, hatte jedoch einen Schulbegleiter. In der Schule kam er gut klar, er war kein durchgängiger Einser-Schüler, machte jedoch den Eindruck, dem Unterricht gut folgen zu können. Die Anwesenheit des Schulbegleiters hat keinen aus der Klasse besonders gestört, eigentlich ist er gar nicht aufgefallen. Teilweise war es sogar sehr lustig sich mit ihm zu unterhalten, er half uns sogar bei manchen Aufgaben. Es ist nicht zu leugnen, dass Oskar zwar nie gemobbt wurde, aber auch nicht den besten Anschluss in unserer Klasse fand. Ich denke nicht, dass das an mangelnder Toleranz der Schüler lag, es war wohl eher der Autismus an sich. Er schien mir nicht unglücklich einsam vor sich hin zu leiden, das nicht, aber man sah ihn schon öfter alleine mit sich selbst beschäftigt. Ich bezweifle jedoch, dass eine Förderschule daran etwas geändert hätte. Seine Behinderung schränkte ihn auf der Informationsebene der Schulbildung nicht ein. Sozial konnten sich Schwächen erkennen lassen, aber diese währen sowieso vorhanden gewesen, auch in einer Förderschule. Eine Einschränkung durch Autismus schränkt einen auf einer "normalen" Schule genauso wie auf einer Förderschule ein, es ergeben sich unterm Strich dieselben sozialen Probleme. Oskar hatte eigentlich einen Gewinn daran, auf ein Gymnasium gehen zu dürfen. Insgesamt ergibt sich hier also ein positives Ergebnis.

 

Es wird immer Ausnahmen geben, bei denen es nicht möglich ist, ein bestimmtes barrierefreies Gebäude zu bauen oder zu garantieren, dass ein Schüler keine negativen Erfahrung machen wird. Trotzdem ist es aus menschlicher Sicht unabdingbar, festzustellen, dass jeder Mensch dieselben Chancen bekommen sollte. Als Zukunftsperspektive scheint es unrealistisch, in näherer Zeit alle SBBZ abzuschaffen. Vielmehr könnte als neuer Lösungsansatz gelten, allen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, auf die Schule ihrer Wahl zu gehen. Wichtig ist es für inklusive Bildungseinrichtungen, Unterstützung für Schüler anzubieten, die in einem bestimmten Bereich schwächer sind, ohne dabei die Einheit der Lerngruppe zu durchbrechen. Zusätzliche Fördermöglichkeiten könnten Chancen für leistungsstärkere sowie leistungsschwächere Schüler bieten, ohne das Phänomen der Exklusion in der Inklusion zu beobachten. Für den Erfolg von inklusiven Schulen, die die Grundlage für eine offenere und akzeptierendere Gesellschaft bilden, sind gut ausgebildete Lehrkräfte und die Ermöglichung von Chancengleichheit unabdingbar. In vielerlei Hinsicht ist es also von Bedeutung zu zeigen, dass jeder Mensch ein Individuum ist, dass jeder Mensch ein Teil dieser Gesellschaft ist und dass diese Gesellschaft einer Vielfältigkeit unterliegt, die es zu schützen gilt.

 

Teresa

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